Ein Fremder im Märchenwald
Große Aufregung im
Märchenwald. Auch im Schloss verbreitete sich die Nachricht in Windeseile.
Auf der Lichtung
wurde ein fremder Vogel gesichtet. Er saß am Baumstumpf, auf dem normaler Weise
nur die Feenkönigin sitzen durfte und piepste vor sich hin.
„Er ist ganz gelb.“
Sagte Fari, die Waldfee.
„Er war noch nie da.“
Sagte das Eichhörnchen und ließ vor lauter Schreck eine Haselnuss fallen.
„Er ist vielleicht
eine Gefahr für uns?“ Fragte der kleine Molch und versteckte sich hinter seinem
mit Moos bewachsenen Stein.
Birr die Schlange
schlängelte sich vom Baum herunter, wo sie ihr Mittagschläfchen gehalten hatte
und öffnete nur das linke Auge.
„Auf jeden Fall ist
es ein Fremder.“ Zischte sie, richtete ihren Kopf auf und züngelte Richtung des
gelben Vogels.
Dieser saß auf dem
Baumstumpf und piepste ganz leise.
Fari die Waldfee
getraute sich einen Schritt näher und betrachtete den Vogel eingehend. Sie
konnte keine Gefahr entdecken, die von ihm ausging.
Silja, die ebenfalls
im Wald war um Netze der Spinne Arachne für die Schlossgärtnerei zu holen, um
die Beerensträucher abzudecken, beäugte den Vogel ängstlich.
„Was will er denn bei
uns?“ Fragte sie Fari, da diese schon eine ältere Waldfee war und mehr
Erfahrung hatte.
„Ich weiß es nicht,
aber wir müssen es im Schloss melden.
Man kann nicht wissen, wenn der Vogel fremd ist, was er wohl im Schilde führt.“
Und wieder piepste
der gelbe Vogel leise.
Die Schlange Birr
hatte sich nun vom Baum runterfallen lassen und schlängelt sich auf die Wiese.
„Bleib´ da.“ Sagte
der Kobold, der unter dem Farn geschlafen hatte. „Wir sollten ihn einmal
fragen, was er denn eigentlich hier will
und woher er kommt.“
Der gelbe Vogel sah
die Schlange auf sich zukommen und war sehr erschrocken. Er konnte ja nicht wissen,
dass Birr erstens niemand etwas zu leide tat, und zweitens schon so alt war, dass
sie keine Zähne mehr hatte.
Er erhob sich und
flog zur großen Tanne am Rande der Lichtung, um sich in Sicherheit zu bringen.
Er landete direkt neben dem Specht, der dort neugierig oben saß und alles
beobachtete.
„Das ist mein Ast, da
hast du gar nichts zu suchen.“ Sagte er zu dem gelben Vogel, „such Dir einen
anderen Ast. Ich möchte meinen Ast nicht mit Fremden teilen.“
Der gelbe Vogel bekam
es mit der Angst zu tun und er flog noch einen Ast höher und schaute ganz
ängstlich hinunter zu dem Specht.
„Ich will auch nicht, dass du über mir sitzt, fliege
weiter, suche dir einen anderen Baum.“ Und um seine Worte zu unterstreichen ließ
er seine Flügel auf und zu klappen und hämmerte mit seinem Schnabel
gleichzeitig auf den Baumstamm.
Inzwischen hatten
sich am Fuße des Baumes schon sehr viele Waldbewohner versammelt und schauten
alle hinauf zu dem fremden gelben Vogel.
Da saßen die Häschen
und wackelten mit den großen Ohren und schnupperten mit der Nase, das
Eichörnchen hatte wieder seine Haselnuss
gefunden und hielt sie fest in der Hand.
Der schlaue Fuchs
lehnte sich an den Baumstamm und dachte nach. Er musste aufpassen, was er
sagte, er galt ja allgemein als schlau.
Einige Borkenkäfer
liefen den Stamm auf und ab und versteckten sich hinter der Baumrinde.
Der Grashüpfer saß am
Fliegenpilz und musste aufpassen, dass er nicht hinunterfiel.
Nur der große braune
Bär blieb neben seiner Höhle liegen und öffnete die Augen nur einen Spalt. Der
Vogel war so klein, da spürte er kein Verlangen, sich in die Debatte
einzumischen.
Da kam auch Mo, der
Elfe herbei geflogen und setzte auf der Lichtung auf.
„Was ist den los hier?
Wieso starrt ihr alle auf den Baum
hinauf?“ Fragte er ganz erstaunt.
„Da sitzt ein fremder
Vogel am Baum, den keiner kennt und wir wissen nicht, von wo er herkommt und
was er will. Vielleicht ist er gefährlich?" Sagte Fari, die Waldfee.
„Wie kann ein so
kleiner Vogel denn gefährlich sein?“ Mo musste lachen.
„Außerdem seht ihr
nicht, dass er mehr Angst hat wie ihr alle zusammen? Wir werden sofort die Eule
holen. Sie ist ja schließlich die Lehrerin hier im Wald und sie muss wissen,
was das für ein Vogel ist.“
Mo erhob sich in die
Luft, um die Eule zu suchen.
Inzwischen kam auch
Samantha, die kleine Hexe an der Lichtung vorbei und stellte ihren Korb mit den
neuen jungen Pflanzen ab, die sie auf die Lichtung pflanzen sollte.
Sie schaute auch ganz
neugierig zu dem gelben Vogel hinauf und wusste auch nicht, welcher Vogel das
war.
„Aber ich kenne da einen Zauberspruch......“ begann sie zu
sprechen, aber alle fielen über sie her, und baten sie, nicht zu zaubern. Denn
jedes Mal, wenn die kleine Hexe etwas
zauberte, passierte etwas Unvorhersehbares.
„Na, dann halt
nicht.“ Sagte sie.
Mo hatte inzwischen
die Eule gefunden, sie hatte es sich im Baumwipfel bequem gemacht und wollte
gerade an einer Jacke für den Kobold zu stricken beginnen. Sie legte Ihre Brille
weg und steckte das Strickzeug in eine Baumhöhle und flog herbei.
„Also, wo ist jetzt
der gelbe Vogel?“ Fragte sie laut.
„Dort oben,“ riefen
alle gleichzeitig und sandten ihre
Blicke hinauf zu dem Ast, wo der gelbe
Vogel saß.
„Also, meine Lieben,
das ist ganz eindeutig ein Kanarienvogel.“ Stellte sie fest.
„Und wieso habt ihr
vor diesem kleinen Vogel Angst? Seht ihr nicht, dass er viel mehr Angst vor
euch und der fremden Umgebung hat?“
Sie blickte hinüber
zu dem anderen Baum, auf dem der Vogel saß und
winkte mit ihrem rechten Flügel.
„Also, mein lieber
Kanarienvogel, sag uns jetzt wie du in diesen Wald kommst und was du hier
willst.“
Der kleine Vogel
schaute ängstlich von einem zum anderen und piepste.
„Also, mit piepsen
alleine werden wir nichts erfahren können, du musst schon mit uns sprechen.“
Sagt da die Eule streng, wie sie es auch in der Schule machte.
Der gelbe Vogel erhob
sich wieder und flog auf die Lichtung zu und setzte sich auf den Baumstamm.
Er richtete sich ein
bisschen auf um größer zu erscheinen, blickte in die Runde und begann zu
sprechen.
„Ich habe mich
verflogen. Eigentlich wohne ich in der Nähe in einem Haus, außerhalb des
Märchenwaldes. Aber ich war neugierig und wollte ein bisschen die Welt sehen.
Als das Fenster offen stand, bin ich raus geflogen. Und jetzt finde ich nicht mehr zurück. Ich
habe Hunger und Durst und bin schon ganz müde.“
Und wieder piepste er
leise, seine Füße trugen ihn nicht mehr, er musste sich niedersetzen.
Da saß er nun und
wirkte ganz klein und hilflos.
Alle schämten sich
plötzlich, dass sie ihn so schlecht behandelt hatten. Einige kamen näher um
sein schönes gelbes Federkleid zu betrachten. Die Amsel flog rasch zum See und
holte in ihrem Schnabel ein bisschen Wasser und träufelte es dem Armen in den Schnabel.
Eine Meise brachte
einige Körner und legte sie auf den Baumstamm neben ihm hin.
„Also,“ sagte die
Eule, “Da seht ihr es wieder. Man muss mit allen Wesen dieser Welt nur reden
und versuchen sie zu verstehen. Dann braucht man keine Angst zu haben. Wie ihr
seht ist das ein kleiner Vogel, wie viele andere in unserem Wald. Und du Mo,
als Waldelfe, wirst dem kleinen Vogel nun voraus fliegen und ihm zeigen, wie er
aus dem Wald hinaus kommt und wieder nach Hause findet.“
Alle Tiere und Feen und auch der Kobold und die
kleine Hexe gingen nochmals zu dem kleinen gelben Vogel hin und verabschiedeten
sich von ihm.
Er hatte inzwischen
die Körner zusammen gepickt und verabschiedete sich mit kleinen Flügelschlägen
von allen und flog hinter dem Waldelfen Mo aus dem Wald um nach Hause zu
kommen.